Presse / Kritik

Schritt für Schritt ins Unglück

Premiere: Ferenc Molnárs „Liliom“ in Leopoldschlag.

Die Grenzlandbühne Leopoldschlag macht es ihrem Publikum bei den Sommertheatertagen nicht einfach. Und das mit Absicht. Statt einer amüsanten Sommerkomödie wählt man bewusst ernste Volksstücke mit Anspruch.

In diese Tradition reiht sich heuer „Liliom“, das am Samstag Premiere feierte. Und der Liliom (hervorragend gespielt von Christian Lemperle) macht es dem Zuschauer auch nicht einfach. Rotzig-trotzig nimmt er sich im Leben, was er möchte. Und greift doch jedes Mal daneben. Den Job beim Ringelspiel verliert er aus falschem Stolz, auf der Suche nach dem falschen Glück verliert er seinen Anteil am geplanten Raubüberfall, bevor dieser noch begangen ist – und schließlich ohnehin schiefgeht. Also tut Liliom das einzig Falsche und bringt sich um. Das Großmaul entzieht sich der Verantwortung. Für die verblendete, hilflos in ihn verliebte Julie (zu Recht seit Jahren weibliche Hauptrolle auf der Grenzlandbühne: Martina Lanzerstorfer) und für sein ungeborenes Kind. Ihr eindringliches „Bleib zu Haus!“ bleibt ungehört.

Sympathie für die Hauptfigur in dem Stück von Ferenc Molnár aufzubringen, fällt daher nicht leicht. Viele Chancen bekommt er, jede lässt Liliom ungenutzt vorüberziehen. Um Ausreden ist er nicht verlegen, selbst dafür, dass er Julie schlägt. Ebenso wenig ist sie um Entschuldigungen für den Grobian verlegen, über seinen Tod hinaus verklärt Julie ihre Beziehung.

Beschönigt wird in der Inszenierung von Regisseur Daniel Pascal daher nichts, bewusst lässt er den Zuschauer darüber den Kopf schütteln, wie sich zwei – wohl doch Verliebte – das Leben so schwer machen können.

Jana-Marie Bauer gibt die hinreißend naive Marie, Dominik Chalupar den korrekten Wolf Bleifeld, Daniela Bauer die resolute Ringelspiel-Betreiberin Frau Muskat, Gerhard Neunteufel den durchtriebenen Fiscur und Wolfgang Aistleitner den Polizeikonzipisten, der Liliom eine allerletzte Chance gibt. Denn: „Solange du nicht vergessen bist, so lange bist du noch nicht fertig mit der Erde.“

Fazit: Ein Stück, das beschäftigt, top gespielt – in Leopoldschlag ist auch heuer wieder der Beweis gelungen, dass Sommertheater keine leichte Kost sein muss.

Barbara Eidenberger (OÖ Nachrichten vom 22.07.2019)

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Mit Vollgas hinein in die Katastrophe

Gelungene „Liliom“-Premiere auf der Grenzlandbühne Leopoldschlag

Seit jeher will die Grenzlandbühne Leopoldschlag ihr Publikum nicht nur unterhalten, sondern auch zum Nachdenken anregen. Dies ist dem Amateurtheater etwa mit „Hexenjagd“ 2012 und „Jägerstätter“ 2015 bravourös gelungen, und nun auch mit „Liliom“ des ungarischen Autors Ferenc Molnar, das Samstagabend im Mühlviertel Premiere feierte.

Unter der Regie von Daniel Pascal, der in Leopoldschlag bereits mehrfach inszenierte, hat der von Alfred Polgar bearbeitete Molnar-Klassiker, der in Wien 1913 erstmals aufgeführt wurde, nichts an Aktualität verloren. Quasi blind vor Liebe wagen es wie einst Julie („Man kann geschlagen werden, ohne Schmerzen zu empfinden“), gespielt von Martina Lanzerstorfer, auch heute noch viele Frauen nicht, Gewaltbeziehungen ein Ende zu setzen und damit der Abwärtsspirale zu entkommen.

Dabei hätten bei dem Dienstmädchen von Beginn an alle Alarmglocken läuten müssen: Teilte sich der Karussell-Ausrufer, Frauenheld und Strizzi mit Spitznamen Liliom — verkörpert von Christian Lemperle — doch das Bett mit seiner Chefin Frau Muskat (Daniela Bauer). Die eifersüchtige Karussellbesitzerin entlässt ihn und das Unglück nimmt seinen Lauf, zumal Julie alle Warnungen ignoriert. Unzufrieden über seine triste Situation beginnt „Liliom“, die Hand gegen seine Frau zu erheben.

In der Katastrophe mündet die Beziehung schließlich, als Julie schwanger wird und der Ehemann sich in der Hoffnung auf ein besseres Leben für seine Familie auf den Ganoven Ficsur (Gerhard Neunteufel) einlässt. Dessen Idee vom Raubüberfall auf Linzmann, den Kassierer einer Fabrik, scheitert. Liliom sieht nur noch die Möglichkeit, sich der Verhaftung mittels Suizid zu entziehen. Doch auch die vom himmlischen Selbstmördergericht gewährte Möglichkeit, nach 16 Jahren Buße einen Tag lang auf die Erde zurückzukehren, um dort seiner Tochter etwas Gutes zu tun, „vergeigt“ der Sturschädl. Man fragt sich zwangsläufig, ob Gewalttäter eine zweite Chance verdienen …

Aus dem ambitionierten Ensemble sticht vor allem Christian Lemperle hervor, der die vielen Facetten von Lilioms Charakter eindrucksvoll auf die Bühne bringt.

Heinz Wernitznig (Neues Volksblatt vom 23.07.2019)

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Liliom von Ferenc Molnár beim Sommertheater in Leopoldschlag

Das Stück, das ursprünglich in Budapest spielt und von Alfred Polgar 1912 in der Übersetzung in den Wiener Prater verlegt wurde, hat in diesen über 100 Jahren seines Bestehens nichts an Aktualität eingebüßt, denn es geht um die Menschen und ihre Suche nach Glück – nach Anerkennung und Liebe.

Liliom ist Karussell-Ausrufer im Prater, ein großmäuliger Frauenheld und Strizzi. Als er sich in das Dienstmädchen Julie verliebt, wirft ihn seine eifersüchtige Arbeitgeberin hinaus, und er gerät in eine Spirale von Arbeitslosigkeit, Frustration, Gewalt und Spielsucht. Als Julie ein Kind erwartet, lässt sich Liliom zu einem Raubüberfall überreden. Doch was als Lösung aller Probleme gedacht war, erweist sich als fatale Endstation.

Das gesamte Ensemble bietet eine ausgezeichnete Leistung unter der Regie von Daniel Pascal, der seine Schauspieler in bewährter Weise behutsam führt und aus den Figuren Menschen entstehen lässt.

Christian Lemperle, der auch heuer das Ensemble wieder als einziger Profi ergänzt, zeigt uns einen Liliom mit all seinen Zwischentönen. Immer wieder blitzt unter dem gewaltbereiten, arbeitsscheuen Taugenichts der „andere“ Liliom auf, der auch nur auf der Suche nach Liebe und Anerkennung ist und seine Hilflosigkeit und seine Unfähigkeit für Julie zu sorgen hinter Gewalt versteckt.
Martina Lanzerstofer berührt als Julie, die ihren Liliom liebt und zu ihm hält, komme was wolle, und doch auch gefangen ist in ihrer Sprachlosigkeit. Überzeugend wandelt sie sich vom unbedarften Dienstmädchen zur Frau und Mutter, die ihren Weg geht.

Julies Freundin Marie (frisch und facettenreich gespielt von Jana-Marie Bauer) und ihr Mann Wolf Beifeld (Dominik Chalupar) zeigen uns gekonnt ihren Aufstieg ins Bürgertum. Gerhard Neunteufel erinnert als Ficsur an einen Gauner im Nadelstreif, und Daniela Bauer (Frau Muskat), Elisabeth Neulinger (Frau Hollunder) und Bianca Hoffelner (Luise) geben ihren Figuren Farbe und Frische.

Beeindruckend auch das Bühnenbild, auf dem Daniel Pascal mit nur wenigen Versatzstücken eine eigene Welt entstehen lässt – das Karussellpferd alleine schon ein Hingucker! – und der Einsatz der Drehbühne, die das Bild des Karussells aufnimmt als Metapher für das Leben.

Ein Theaterbesuch, der sich lohnt!

Karin Leutgeb (OÖ Amateurtheaterverband vom 27.07.2019)

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