Presse / Kritik

Packender „Horváth“ krönt 20 Jahre Grenzlandbühne Leopoldschlag

Das Jubiläum feierte am Samstag die gelungene Premiere von „Der jüngste Tag“.

Keiner trägt direkt Schuld. Und doch muss sie jeder ertragen, weil er sein Scherflein zur Katastrophe beigetragen hat: Ein flüchtiger Kuss, weniger aus Liebe denn aus koketter Provokation. Ein unbedachter Augenblick. Und der Stationsvorstand Hudetz versäumt, das Signal zu stellen. Zwei Züge kollidieren, 18 Menschen sterben.

Nicht nur sprachlich gekonnt

Mit Ödön von Horváths eher selten gespieltem „Der jüngste Tag“ feierte die Grenzlandbühne Leopoldschlag am Samstag ihren 20. Geburtstag würdig und beeindruckend. Regisseur Daniel Pascal hat mit behutsamer Hand inszeniert. Die Einwohnerzahl – 1.027 – verrät seinen Schauplatz: Durch Leopoldschlag lässt das Ensemble stampfend die Züge brausen. Friedrich Hoffelners nostalgisch-liebevoll gestaltete Wirtsstube bewirbt unter Hirschgeweih Fanta und Freistädter Bier. Das fast ausschließlich von Amateurdarstellern gestemmte Ensemble besticht nicht nur mit Spielfreude, sondern auch mit gekonnter Bühnensprache. Selbstverständlich ist diese für Christian Lemperle mit Landestheater-Vergangenheit: Wie sich sein Thomas Hudetz aufreibt am Selbstbild des pflichtbewussten Beamten, der in seinem tiefsten Inneren mit seiner Schuld ringt, berührt. Ihr Kuss – aber nur, weil er seine Frau (verbittert: Inge Dornetshuber) nicht liebe – hat das Unheil ins Rollen gebracht: Martina Lanzerstorfer überzeugt als kokette Anna mit starker Bühnenpräsenz. Nach ihrem Meineid wird Hudetz freigesprochen. Das innere Gericht tagt weiter. Um bestraft werden zu können, muss er Größeres begehen: einen Mord. Der Held wird zum Gejagten. Karin Schinagl gibt die geschwätzige Frau Leimgruber, Herbert Schaumberger den besonnenen Schwager Alfons, Martin Oberngruber ist der rachlüsterne Wirt, Tobias Maierhofer Annas zerbrochener Verlobter, Jana-Marie Bauer ist die kecke Kellnerin Leni. Dominik Chalupar ermittelt lustvoll als Staatsanwalt, unterstützt von Martina Böhm als Gendarm. Langer Beifall für die 40. gelungene Produktion der Grenzlandbühne.

Fazit: Packend kurzweilig, texttreu inszeniert, top gespielt: Die Grenzlandbühne erweist sich wieder als erstklassiges Amateurtheater.

Karin Schütze (OÖ Nachrichten vom 30.07.2018)

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Ein Kuss und seine dramatischen Folgen

In Leopoldschlag werden nicht nur politische Grenzen, sondern seit 20 Jahren erfreulicherweise auch Grenzen des von einem Amateurtheater normalerweise Erwartbaren überschritten: Es wird beim Sommertheater der Grenzlandbühne exzellentes Theater geboten. Mit der 39. Inszenierung ging die Laienbühne am 28.7.18 mit großer Spielfreude mit Ödön von Horváts „Der jüngste Tag“ in ihr 21. Spieljahr.

Horváth (1901 – 1938) gilt als Erneuerer des Volksstücks. Meisterhaft beobachtet er die kleinbürgerliche Welt, ihre rasch wechselnde Gesinnungslage und ihre dunklen Seiten. So auch in „Der jüngste Tag“, darin die Auseinandersetzung mit Schuld oder Unschuld, Verantwortung und Wahrheit beschreibend – ausgelöst durch einen Kuss.

Der Bahnhofsvorstand Thomas Hudetz führt ein pflichtbewusstes Leben, ist jedoch unglücklich verheiratet. Provozierend küsst ihn deshalb im Dienst die Wirtstochter Anna, verstört und abgelenkt übersieht er, ein Signal zu stellen. Die Folge – ein Zugsunglück mit 18 Toten. Vor Gericht beteuert Anna die Unschuld Hudetzs und leistet sogar einen Meineid. Das Dorf feiert den Freispruch. Aber keiner der Beteiligten kann mit der ungesühnten Schuld so einfach leben, die Katastrophe zieht immer weitere Kreise. Hudetz will durch einen Mord an der von Gewissensnot gepeinigten Anna das Verbrechen endgültig vergessen. Schließlich bricht das mühsam verdrängte Bewusstsein der Schuld in ihm durch: Er stellt sich dem Gericht.

Die Inszenierung Daniel Pascals – mit einfachem, jedoch effektvollem Bühnenbild von Friedrich Hoffelner unterstützt – verliert nie den Spannungsbogen, wobei auch Stille, immer wieder in den Dialog einbrechend, und überzeugendes Mienenspiel wichtige Elemente sind. So entstehen fesselnde szenische Höhepunkte.

Dem Regisseur ist es in diesem herausfordernden Stück gelungen, das Ensemble zu einem beachtlichen Erfolg zu führen. Christian Lamperle gibt den phlegmatischen Vorstand, Inge Dornetshuber seine eifersuchtsgeplagte Frau, Herbert Schaumbeger deren distinguierten Bruder, Martina Lanzerstorfer glänzt als neckische Wirtstochter Anna, Jana-Marie Bauer als herzige Kellnerin Leni, Karin Schinagl ist die provokant-geschwätzige Frau Leimgruber, Dominik Chalupar ermittelt als strenger Staatsanwalt, Martin Oberngruber spielt überzeugend den gestandenen Dorfwirt, Tobias Maierhofer den ungestümen Fleischhauer, Ferdinand Schöllhammer einen seriösen Vertreter. In ihren Rollen gefielen auch Martina Böhm, Karl Wagner und die Kinder Johanna Manzenreiter und Alina Pilgerstorfer. Sie alle trugen zu einem begeisternden Theaterabend bei und ernteten herzlichen Applaus.

Kons. Karlheinz Sandner (OÖ Forum Volkskultur vom 30.07.2018)

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Psycho-Drama in der Dorfidylle

„Wir machen es uns nicht einfach bei der Stückauswahl“ — das sagen die Verantwortlichen der Grenzlandbühne in Leopoldschlag im Mühlviertel. Und man hat es sich für die heurigen Sommertheatertage in der Tat nicht einfach gemacht: Mit dem Stück „Der Jüngste Tag“ von Ödön von Horvath.

In dem „Volksstück“ aus dem Jahr 1936 geht Horvath von einer vergleichsweise harmlosen Situation aus: Die junge, lebenslustige Anna küsst aus Übermut — und um dessen eifersüchtige Frau zu provoziere — den pflichtbewussten Bahnhofsvorstand Thomas Hudetz, gegen dessen Willen. Dieser kurze Augenblick genügt, dass Hudetz vergisst, ein Haltesignal für den nächsten Zug zu stellen. Die Folge ist eine Eisenbahnkatastrophe mit 18 Toten. Wer ist Schuld? Anna? Der Bahnhofsvorstand? Diese Frage zieht sich durch das Stück. Und wie geht die Dorfgemeinschaft damit um? Die „öffentliche Meinung“ — „was die Leut‘ sagen“ — schwankt zwischen Solidarität mit Hudetz und später dessen Verachtung, als alles in eine menschliche Tragödie mündet.

Die Schauspieltruppe der Grenzlandbühne — alles Amateure, aber mit langer Theatererfahrung — bewältigt Horvaths Stück beeindruckend und authentisch, allen voran Christian Lemperle als Bahnhofsvorstand und Martina Lanzerstorfer als Anna. Für die Regie gelang der Grenzlandbühne wieder ein Glücksgriff: Man engagierte erneut den bekannten Schauspieler und Regisseur Daniel Pascal. Er inszenierte schlüssig, dramatisch, jedoch ohne Pathos, aber auch mit den von Horvath selbst als wichtig genannten Momenten der Stille.

Die Grenzlandbühne will — Zitat aus dem Programmheft — „anspruchsvolles Theater aus dem Volk und für das Volk“ machen. Das ist vollauf gelungen.

Werner Rohrhofer (Neues Volksblatt vom 30.07.2018)

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Wer trägt die Schuld?

Seit 20 Jahren schon gibt es die Sommertheatertage in Leopoldschlag, ein Fixpunkt in der oberösterreichischen Sommertheater-Szene. Hier bringt die Grenzlandbühne Jahr für Jahr anspruchsvolle Volksstücke zur Aufführung, die eine zeitlose Problematik behandeln, abseits des komödiantischen Sommertheater-Mainstreams.

Dieses Jahr steht „Der jüngste Tag“ von Ödön von Horváth auf dem Programm, unter der Regie von Daniel Pascal.

In diesem Stück geht es um Schuld, Sühne und Rache, um Recht und Gerechtigkeit. Und wir erleben, wie schnell sich die Haltung des Einzelnen wandelt, wie schnell man hier das Lager wechselt, wenn es „ins Bild passt“.

Es gelingt Daniel Pascal mit seinem Ensemble eine dichte Atmosphäre zu schaffen, die durch das gelungene, reduzierte Bühnenbild noch unterstrichen wird.

Neben Christian Lemperle, der als Profi aus besetzungstechnischen Gründen ins Team geholt wurde und den Thomas Hudetz behutsam in all seinen Facetten zeigt, sind es vor allem die Damen, die sich besondere Aufmerksamkeit verdient haben: Martina Lanzerstorfer als junge, unbedarfte und lebenslustige Wirtstochter, die sich unter der Last der Schuld vollkommen verwandelt, Jana-Marie Bauer überzeugt als Kellnerin Leni, die trotz ihrer Jugend schon einen scharfen Blick für die menschliche Seele hat, und Karin Schinagl bringt in der Figur von Frau Leimgruber auf amüsante und dabei recht nachhaltige Weise den Dorftratsch auf die Bühne, der ein wichtiges, verbindendes Element zwischen den Figuren darstellt, gewissermaßen den Kitt der Gemeinschaft.

Ein gelungener Theaterabend der Grenzlandbühne, den hoffentlich noch recht viele Besucher genießen werden und der jetzt schon neugierig macht auf die Sommertheatertage 2019 in Leopoldschlag!

Karin Leutgeb (Amateurtheater Oberösterreich am 31.07.2018)

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